Peter Gelderloos (@petergelderloos.bsky.social) für CrimethInc
Übersetzt von Riot Turtle (@riotturtle.bsky.social)
Vorwort Riot Turtle
Ich habe viele Texte und Bücher von Peter Gelderloos gelesen und einige davon für Sunzi Bingfa und den Enough-Blog übersetzt. Die folgende Übersetzung eines Textes, den Peter für Freedom and CrimethInc geschrieben hat, ist die erste Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche, seit ich am 1. Mai 2023 aus dem Koma aufgewacht bin. Besonders gut hat mir der letzte Teil des Textes gefallen. Peter bleibt immer auf einem revolutionären Weg, zeigt, dass alle reformistischen Ansätze ins Leere führen.
In gewisser Weise kommt Peter zu ähnlichen „Klima“-Einschätzungen, die ich in mehreren Podcasts mit Tadzio Müller (@tadziomueller.bsky.social) diskutiert habe und die letzterer in einigen seiner Blogbeiträge angesprochen hat. Natürlich kann man sagen, was bringt es dann, diesen Artikel zu übersetzen? Der Beitrag von Peter zeigt, dass es einige Unterschiede in den lokalen Gegebenheiten gibt, aber er kommt dennoch zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Das ist der interessante Punkt. Die ganze Klimadiskussion, das Massenaussterben von Arten, das extreme Wetter sind Dinge, mit denen wir auf dem Planeten immer mehr konfrontiert werden und die wir überall bekämpfen müssen. Gemeinsam.
In diesem Sinne einen revolutionären Gruß an die Aktivist*innen von ‚Disrupt Tesla‘, die derzeit in Brandenburg Aktionen zur Verteidigung von Land und Wasser durchführen.
Riot Turtle (@riotturtle.bsky.social)
Vorwort CrimethInc
In Zusammenarbeit mit Freedom präsentieren wir, CrimethInc einen kurzen Text von Peter Gelderloos, in dem er der Frage nachgeht, warum die Strategien, die die etablierten Umweltbewegungen derzeit anwenden, um den industriell erzeugten Klimawandel aufzuhalten, scheitern – und was wir stattdessen tun könnten. Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesen Fragen empfehlen wir seinem Buch, The Solutions are Already Here: Strategies for Ecological Revolution from Below. (Strategien für eine ökologische Revolution von unten).
Vor einem neuen Sommer voller Klimakatastrophen sollten wir über echte Lösungen sprechen
Die Mainstream-Klimabewegung geht von einer Prämisse aus, die ein Scheitern garantiert.
Nicht nur Scheitern. Eine Katastrophe. Und je effektiver sie ist, desto mehr Schaden wird sie anrichten.
Lasst uns herausfinden, warum.
Reduktionismus im Klimabereich
Wenn Menschen heutzutage an Umweltschutz denken, stellen sie sich wahrscheinlich zivilen Ungehorsam auf der Straße, Medienaktivismus, leidenschaftliche Lobbyarbeit und Konferenzen vor, die darauf abzielen, globale Ziele für CO2-Emissionen festzulegen – alles unter der Führung von Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler*innen und progressiven Politiker*innen. Der ökologische Kampf hat jedoch immer auch antikapitalistische und antikoloniale Strömungen umfasst, und diese Strömungen sind in den letzten Jahrzehnten stärker, dynamischer und besser vernetzt geworden.
Dieses Entwicklung verlief jedoch nicht ohne Rückschläge, die oft durch intensive, gezielte Repressionen verursacht wurden, die die Bewegungen erschöpft und traumatisiert zurückließen, wie z. B. der „Green Scare“ (1), der 2005 begann, und die Niederschlagung von Standing Rock (2) und anderen von Indigenen geführten Bewegungen gegen Pipelines ein Jahrzehnt später. Genau in den Momenten, in denen radikale Strömungen ihre Wunden lecken, übernimmt die überwiegend weiße, bürgerliche Vision des Umweltschutzes systematisch die Bühne und drängt die gesamte Diskussion in reformistische Richtungen. (3)
Die eigentliche Krise, mit der wir konfrontiert sind, ist eine komplexe ökologische Krise, in der Polizeimorde, repressive Gesetze, die andauernde Geschichte des Kolonialismus und der White Supremacy (weißen Vorherrschaft), der Verlust von Lebensraum, Landraub, Nahrungsmittelkulturen, menschliche Gesundheit, Urbanismus, Grenzen und Kriege miteinander verwoben sind. Die Führung der Umweltbewegung hat die strategische Entscheidung getroffen, all dies auf eine Frage des Klimas – die Klimakrise – zu reduzieren und den Staat wieder zum Protagonisten, zu unserem potenziellen Retter zu machen. Das bedeutet, das Pariser Abkommen und die COP-Gipfel als Lösung des Problems in den Mittelpunkt zu stellen und performativen Aktivismus und zivilen Ungehorsam einzusetzen, um politische Veränderungen und Investitionen zur Förderung erneuerbarer Energien zu fordern.
Ein vorhersehbares Scheitern
Die beiden Säulen ihrer Strategie zur Bewältigung der Klimakrise sind erstens die Steigerung der Produktion von erneuerbarer Energie und zweitens die Senkung der CO2-Emissionen.
Beim ersten Ziel waren sie sehr effektiv, beim zweiten dagegen äußerst ineffektiv. Das war absolut vorhersehbar.
Wer versteht, wie unsere Gesellschaft funktioniert, d. h. wie der Kapitalismus funktioniert, weiß, dass das wahrscheinliche Ergebnis eines Anstiegs der Investitionen in grüne Energie ein Anstieg der Produktion fossiler Brennstoffe sein wird. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Hunderte von Milliarden Dollar, die bereits in Pipelines, Kohleminen, Ölraffinerien und Fracking-Anlagen gesteckt wurden, festes Kapital sind. Sie sind eine Menge Geld wert, aber es ist kein Geld auf einem Bankkonto, das man schnell woanders investieren, in Aktien oder Immobilien umwandeln oder in eine andere Währung umtauschen kann.
Ein 14.000 Tonnen schwerer Kohlebagger, eine Offshore-Ölplattform: Sie werden niemals zu etwas anderem von ähnlichem finanziellem Wert werden. Es handelt sich um ausgegebenes Geld, eine Investition, die für die Kapitalist*innen nur dann von Nutzen ist, wenn sie damit weiterhin Kohle fördern oder nach Öl bohren können. Diese ökonomische Regel gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem betreffenden kapitalistischen Unternehmen um ExxonMobil, die staatliche saudische Ölgesellschaft oder die im Besitz der Kommunistischen Partei befindliche China Petrochemical Corporation handelt (die 2021 als größtes Energieunternehmen der Welt gelistet wurde).
Der Kapitalismus (einschließlich der Art, die von sämtlichen sozialistischen Regierungen der Welt praktiziert wird) basiert auf Wachstum. Wenn die Investitionen in erneuerbare Energien zunehmen, was zu einem Anstieg der Gesamtenergieproduktion führt, wird der Energiepreis sinken, was bedeutet, dass große Hersteller mehr von den von ihnen produzierten Gütern herstellen und ihre Produkte billiger machen, in der Hoffnung, dass die Verbraucher*innen mehr davon kaufen. Folglich wird der Gesamtenergieverbrauch steigen. Dies gilt für alle verfügbaren Energiequellen, insbesondere für die etablierten – die fossilen Brennstoffe.
Nach jahrzehntelangen Investitionen werden erneuerbare Energien endlich wettbewerbsfähig oder sogar günstiger als Energie aus fossilen Brennstoffen sein. Dies ist erst seit einigen Jahren der Fall, auch wenn die Preise je nach Region und Art der Energieerzeugung noch schwanken. Die fossile Industrie hat weder ihre Aktivitäten aufgegeben noch die Produktion zurückgefahren. Viele Unternehmen werden nicht einmal ihre Investitionen zwischen fossilen Brennstoffen und erneuerbaren Energien aufteilen. Was sie jedoch tun werden, ist, mehr in neue Projekte für fossile Brennstoffe zu investieren. Dies ist ein Grundprinzip der kapitalistischen Wirtschaft: Wenn die Preisspanne für ein Produkt sinkt, ist die einzige Möglichkeit, den Gewinn zu halten oder zu steigern, die Erhöhung der Gesamtproduktion. Das erklärt, warum 2023 ein hervorragendes Jahr für neue Projekte im Bereich der fossilen Brennstoffe war.
Es gibt noch eine andere Möglichkeit, die Gewinne zu steigern: durch eine Reduzierung der Produktionskosten. Für die fossile Industrie bedeutet das, dass die Sicherheits- und Umweltstandards gesenkt werden, was zu mehr Unfällen, mehr Umweltverschmutzung und mehr Todesfällen führt.
Wir haben das kommen sehen. Wir haben gesagt, dass es so kommen würde. Und wir wurden aus dem Gespräch ausgeschlossen, in vielen Ländern gar getötet oder inhaftiert, weil das verzweifelte Bedürfnis zu glauben, dass die Regierung uns retten kann, noch größer ist als die Sucht nach fossilen Brennstoffen.
Aber der Kapitalismus hat auf diesem Planeten keine Zukunft. Wir werden eine weitreichende Revolution brauchen, um diese Krise zu bewältigen.
Was tun?
Wir müssen das Thema wechseln. Wir müssen uns so aufstellen, dass wir für einen langen Weg gerüstet sind. Wir müssen Kämpfe unterstützen, die kleine Siege bringen und unsere kollektive Kraft stärken können, und unsere Beziehung zu dem Terrain vertiefen, das uns ernähren kann. Vor allem aber müssen wir uns eine bessere Zukunft vorstellen als die, die man uns anbietet.
Sprich
Die Art von sozialem Wandel – die globale Revolution -, die die Wunden heilen kann, die wir dem Planeten selbst und all den darauf lebenden Organismen zugefügt haben, wird größer sein müssen als alles, was wir bisher erlebt haben. Diese Krise fesselt und schädigt uns alle; die darauf folgende Antwort wird so viele von uns wie möglich erfordern.
Stell dir all die Menschen in deinem Leben vor, von denen du nicht möchtest, dass sie verhungern, an Krebs oder bei extremen Wetterereignissen sterben oder von der Polizei oder anderen weißen Rassist*innen erschossen werden.
Du musst nicht alle diese Menschen davon überzeugen, anarchistische Revolutionär*innen zu werden. Es würde genügen, einige von ihnen davon zu überzeugen, ihre Loyalität gegenüber den herrschenden Institutionen und Mainstream-Reformbewegungen aufzugeben und mit einem revolutionären Ansatz zu sympathisieren oder zumindest zu verstehen, warum ein solcher Ansatz einen Sinn macht.
Eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht darin, eine Frage zu stellen, auf die es eine eindeutige Antwort gibt, eine Frage, die einen direkten Bezug zu einem Thema hat, das sie betrifft oder sie motiviert. Zum Beispiel:
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Wie viele Menschen sterben jedes Jahr aufgrund von Wassermangel, Hungersnöten, Wetterextremen, Luftverschmutzung und anderen Ursachen, die mit der ökologischen Krise zusammenhängen? Mindestens 10 bis 20 Millionen Menschen im Jahr, und es werden immer mehr.
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Seit 2017 sind die Investitionen in erneuerbare Energien jedes Jahr gestiegen. Im Jahr 2022 waren die Investitionen in erneuerbare Energien mehr als 15 Mal so hoch wie im Jahr 2004. Hat sich das für die Investoren gelohnt? Ja. Die jährlichen Investitionen belaufen sich auf über eine Billion Dollar, und die Gewinne liegen bei über hundert Milliarden, obwohl die Investoren gezeigt haben, dass sie ihr Geld schnell aus erneuerbaren Energien abziehen, wenn die Gewinnmargen sinken. Was ist im gleichen Zeitraum mit den weltweiten CO2-Emissionen geschehen? Sie sind um ein Drittel gestiegen. Und die Produktion fossiler Brennstoffe im gleichen Zeitraum? Sie hat um 40 % zugenommen. Entspricht dies in etwa den Steigerungsraten der CO2-Emissionen und der Produktion fossiler Brennstoffe in den vorangegangenen Jahrzehnten? Ja. Und was bedeutet das? Die boomenden Investitionen in erneuerbare Energien haben die Produktion fossiler Brennstoffe und die CO2-Emissionen in keiner Weise gebremst, selbst wenn neue Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe schwieriger und teurer werden.
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Unser Wasser, unsere Luft und unsere Lebensmittel sind mit giftigen Chemikalien belastet. Viele davon stehen im Zusammenhang mit der Herstellung von Kunststoffen, Pestiziden, Chemikalien für die Ewigkeit (PFAS), Bergbau und der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Die Gefahren der meisten dieser Verbindungen sind uns seit Jahrzehnten bekannt, und einige von ihnen sind verboten oder werden von verschiedenen Regierungen reguliert. Nimmt die Menge dieser Giftstoffe in unserer Umwelt insgesamt zu oder ab? Sie nehmen zu. Was haben viele große Chemieunternehmen als Reaktion auf das Verbot von PFOA, einer giftigen „Ewigkeitschemikalie“, getan? Sie sind auf die Produktion anderer PFAS umgestiegen, die ebenfalls als giftig bekannt sind oder von denen man annimmt, dass sie giftig sind. Wissen wir, wie effektiv diese Verbote durchgesetzt werden? Fünf Jahre, nachdem sie auf Druck der Regierung zugestimmt hatten, PFOA schrittweise aus dem Verkehr zu ziehen, leiteten die Chemiefabriken von DuPont immer noch PFOA in das Grundwasser ein. Wahrscheinlich tun sie das auch jetzt noch, aber die betroffenen Gemeinden haben nicht die Mittel, um das herauszufinden, und die Regierung überprüft es nicht.
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Werfen wir einen Blick auf ein paralleles Thema, um zu sehen, ob ein solcher Reformismus in anderen Kontexten zu Ergebnissen geführt hat. Im Jahr 2020 versuchten Städte und Bundesstaaten in den USA, die Bewegung gegen Polizeimorde zu befrieden, indem sie Maßnahmen verabschiedeten, die die Rechenschaftspflicht der Polizei sicherstellen sollten – von Schulungen zum Thema ethnischer Hintergrund über Bürger*innen-Beiräte bis hin zu strengeren Richtlinien für die Anwendung von Gewalt und obligatorischen Bodycams. Ist die Zahl der Tötungen durch die Polizei seither zurückgegangen? Nein. Sie hat zugenommen.
Nachdem du die Antworten auf diese Fragen mitgeteilt hast, kannst du betonen, dass die Reform des bestehenden Systems eine gescheiterte Strategie ist, und fragen, ob sie bereit sind, dieselbe Strategie immer und immer wieder zu versuchen, in der Hoffnung auf andere Ergebnisse.
So kannst du herausfinden, welche Menschen in deinem Umfeld in der Lage sind, das Paradigma, in dem sie leben, zu hinterfragen, und welche den falschen Glaubenssätzen, die diesem Paradigma zugrunde liegen, verpflichtet sind. Vergeude deine Zeit nicht mit der letzteren Gruppe. Was auch immer sie für gute und schöne Eigenschaften haben mögen, der Versuch, sich mit ihnen über Vernunft, Ethik und Logik auseinanderzusetzen, geht am Thema vorbei. Wenn Menschen darauf beharren, Dinge zu glauben, die nachweislich falsch sind, dann entweder, weil diese Überzeugungen ihnen Trost spenden oder weil sie ihnen Macht und Profit bringen. Eine Debatte wird daran kaum etwas ändern.
Wir müssen die Diskussion auf der Ebene der Gesellschaft insgesamt verändern. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen unsere Argumente verstehen; wir müssen dafür sorgen, dass die Mainstream-Orthodoxien als umstritten und nicht als akzeptabel angesehen werden.
Das bedeutet, das Pariser Abkommen, die Vereinten Nationen, Extinction Rebellion und die großen NGOs zu diskreditieren, ebenso wie die gesamte Strategie, fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien zu ersetzen und das globale Wirtschaftssystem unverändert zu lassen. Das Einzige, womit sie jemals Erfolg hatten, war, eine Menge Geld zu verdienen. Ebenso müssen wir ein klareres Verständnis für die Funktion der Polizei im historischen Kontext und für die Auswirkungen der wachstumsbasierten Wirtschaftsproduktion auf unsere Gesundheit sowie für die Tatsache, dass keine Regierung Maßnahmen ergreifen wird, um diese Schäden zu lindern, verbreiten.
Konzentrieren wir uns auf die Menschen, die in der Lage sind, sich zu ändern. Wenn Menschen beginnen, ihre Meinung zu ändern, ist es hilfreich, wenn sie dies mit einer unmittelbaren Änderung ihrer Handlungen verbinden können. Helft ihnen, etwas Kleines zu finden, das sie tun können. Zum Beispiel:
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Umleiten von Spenden für großen NGOs auf Rechtsschutzfonds für Waldverteidiger*innen, Spendensammlungen für Waldschutz-Projekte und alternative Medien und Verlage, die ein realistisches Bild der Krise vermitteln;
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Schreibe einen Brief an jemanden, der wegen ökologischer Sabotage oder Verteidigung gegen die Polizei inhaftiert ist, oder an jemanden, der sich für eine bessere Behandlung und Überlebensmöglichkeiten innerhalb des Gefängnissystems einsetzt;
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Verbreitet Nachrichten über die Kämpfe indigener Völker zur Verteidigung von Territorien auf der ganzen Welt in den sozialen Medien;
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Reagiere auf Mainstream-Umweltkampagnen oder den UN-Klimarahmen, indem du darauf hinweist, dass es sich um einen Fake handelt, und auf massenhaft verbreitete Artikel wie diesen hier verlinkst;
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Bittet die örtlichen Bibliotheken und Buchhandlungen, Bücher mit einer realistischen Sichtweise der ökologischen Krise zu bestellen;
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Gründet eine Lesegruppe mit Freund*innen;
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Nimm an einem Protest teil;
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Unterstützt einen lokalen Gemeinschaftsgarten, eine Foodsharingverteilstelle oder kostenlose Kleidung, eine Gruppe zur Schadensbegrenzung oder eine Initiative für transformative Gerechtigkeit;
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Verwandle einen Rasen in einen Garten für einheimische Wildblumen und essbare Pflanzen;
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Experimentiere mit Guerilla Gardening.
Ehrlich werden
Die Apokalypse hat bereits begonnen. Seit Jahrzehnten sterben jedes Jahr Millionen von Menschen – und mittlerweile Dutzende Millionen von Menschen – an den Folgen dieser ökologischen Krise. Wir haben die Todesraten der schlimmsten Jahre des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts übertroffen, selbst wenn wir die Opferzahlen der heißen Kriege nicht mitzählen, die weiße Vorherrschaftsmächte von Niger bis Palästina führen – obwohl auch diese Kriege in diese Krise verstrickt sind.
Hinzu kommt, dass jedes Jahr eine unbekannte Anzahl von Arten – vermutlich Tausende – vom Aussterben bedroht sind. Zahlreiche Habitate und Ökosysteme gehen für immer verloren. Die globale Biomasse, also die Gesamtmasse aller Lebewesen auf dem Planeten, nimmt erheblich ab. Wasser, Luft und Boden sind mit Giften belastet. Die Klimaziele für die Verringerung des CO2-Ausstoßes sind wahrscheinlich zu optimistisch; 26 Jahre vor dem Jahr 2050 (dem UN-Ziel für das Erreichen von „Netto-Null“-Emissionen) überschreiten wir bereits zahlreiche Kipp-Punkte, und die Prognosen der mächtigsten Staaten und größten Unternehmen deuten darauf hin, dass wir den gewünschten Termin 2050 nicht einhalten werden. Das Ende einer Welt ist bereits im Gange.
Um das tun zu können, was wir tun müssen, müssen wir das akzeptieren und uns damit abfinden. Das Leid ist bereits da. Das Massensterben ist bereits da. Aber nach jedem Tod gibt es neues Leben, und es wird weiterhin Leben auf diesem Planeten geben, bis sich die Sonne in ein paar Milliarden Jahren ausdehnt. Für uns ist dies eine Frage von Leben und Tod, also müssen wir sie ernst nehmen und Opfer bringen, aber da es bereits „zu spät“ ist, können wir uns auf Qualität und langfristige Rahmenbedingungen konzentrieren, anstatt uns von einer künstlichen und erschöpfenden Dringlichkeit leiten zu lassen.
Zumindest eine Sache ist sicher: Den Spezien auf diesem Planeten wird es viel besser gehen, wenn wir den Staat und den Kapitalismus abschaffen. Auch wenn wir es zu unseren Lebzeiten nicht schaffen, wird es ihnen besser gehen – uns wird es besser gehen -, wenn wir ihre Hegemonie ausgehöhlt haben, wenn die meisten Menschen erkennen können, dass die herrschenden Institutionen für das, was geschieht, verantwortlich sind, wenn wir unsere Fähigkeit zur kollektiven Heilung und zum Überleben gesteigert haben.
Los geht’s
Es gibt viele Möglichkeiten, einen Kampf zu unterstützen. Obwohl es natürlich sehr schnell zu einer Demoralisierung führen kann, wenn die meisten Pipelines, Militärbasen, Minen und andere Megaprojekte, gegen die wir uns wehren, trotzdem gebaut werden, ist es wichtig, sich zu engagieren. Revolution ist kein linearer Prozess – es sind nicht tausend kleine Siege, die sich zu einem großen Sieg summieren. Ja, es ist notwendig zu zeigen, dass wir manchmal gewinnen können, aber es geht auch um die Freude und die Erfahrung, die wir mitnehmen, das taktische und strategische Gespür, das wir entwickeln, das technische Know-how, die Beziehungen, die wir aufbauen, das Hochgefühl, wenn wir die Polizei zwingen, den Rückzug anzutreten, die Erkenntnis, dass Autoritätspersonen innerhalb und außerhalb der Bewegung uns nur aufhalten, die Art und Weise, wie im Kampf klar wird, dass all die verschiedenen isolierten Themen, all die verschiedenen Formen der Unterdrückung, miteinander verbunden sind.
Wir sollten uns in intermediären Kämpfen engagieren, die den Menschen helfen, die Art von Taktiken und Strategien zu entdecken und zu praktizieren, die für langfristige Veränderungen notwendig sind.
Viele Kämpfe der letzten Jahrzehnte haben uns Kraft gegeben und uns Dinge beigebracht, die wir nie vergessen sollten – die Aufstände in Oaxaca, Griechenland, Frankreich, Hongkong und Chile, die dezentralen Versammlungen der 15M Bewegung, der kompromisslose Antirassismus der Anti-Polizeiaufstände, die freudige Rückeroberung des öffentlichen Raums durch Reclaim the Streets, Waldbesetzungen von Hambach bis Khimki, der strategische Ansatz von Stop Cop City, und vieles mehr.
Haut Rein
Das Überleben hat gestern begonnen. Die Menschen in den Ländern, die den Zusammenbruch bereits erlebt haben, sowie die indigenen und die aus der Unterschicht stammenden PoC (People of Color) Gemeinschaften auf der ganzen Welt sind der Zeit bereits voraus. Lerne von denen, die diese Erfahrungen gemacht haben. Dann lernt ihr euer Gebiet genau kennen. Informiert euch, woher die Lebensmittel kommen könnten und welche Anpassungen die Behausungen in den extremsten Jahreszeiten benötigen, wenn der Strom ausfällt. Entwickelt Kommunikations- und Koordinationsmethoden für den Fall, dass Telefone und Internetverbindungen nicht mehr funktionieren. Finde heraus, wie du an sauberes Trinkwasser kommen kannst. Lerne, wo der Boden am stärksten verseucht ist, damit niemand dort Lebensmittel anbauen wird. Findet heraus, wie koordiniert die ‚White Supremacists‘ sind.
Und fang an zu arbeiten, um mehr gemeinschaftliche Nahrungsressourcen, einen stabileren Zugang zu Wohnraum und mehr kollektive Selbstverteidigungsnetzwerke zu schaffen. Unterstützt jedes Projekt, das euch inspiriert und uns alle stärker macht, sowohl jetzt als auch in einer zu befürchtenden Zukunft, ob Zusammenbruch, zunehmender Autoritarismus oder revolutionärer Bürgerkrieg.
Die Verbindung mit unseren spezifischen Lebensräumen wird wahrscheinlich bedeuten, dass wir mit homogenisierenden Ideologien brechen müssen, die darauf bestehen, dass wir alle gleich sind, die nicht berücksichtigen können, dass wir alle unterschiedliche Geschichten und Bedürfnisse haben und dass diese Geschichten einige von uns in Konflikt bringen, oder die ihre Vorstellung von sozialem Wandel auf ein vorgegebenes Programm oder eine Idee von obligatorischer Einheit stützen. Die Zukunft, die wir schaffen müssen, ist ein Ökosystem ohne Zentrum.
Träume groß
Eine Revolution ist immer noch möglich. Wir können dies mit Zuversicht sagen, weil uns die Geschichte im Laufe der Jahrhunderte bestimmte Muster zeigt, und auch, weil wir in eine noch nie dagewesene Zeit eintreten, in der die herrschenden Institutionen Pläne und Modelle verwenden, die längst obsolet sind.
Alle unsere Revolutionen der letzten Jahrhunderte sind letztlich gescheitert. Das bedeutet, dass wir aus ihnen lernen können, ohne unsere Vorstellungskraft einzuschränken oder davon auszugehen, dass wir wissen, wie eine erfolgreiche Transformation der gesamten Gesellschaft aussehen wird.
Es wird keine Blaupause geben. Sie wird nicht das Ergebnis des Triumphs irgendeiner Partei sein. Sie wird das Ergebnis unzähliger Träume, Pläne, Verschwörungen, verrückter Hoffnungen und Kämpfe sein, die wir noch nicht absehen können. Wir werden es gemeinsam schaffen, ständig träumend, ständig flechtend, denn das ist es, was freies Leben ausmacht.
Peter Gelderloos (@petergelderloos.bsky.social)
Übersetzt von Riot Turtle (@riotturtle.bsky.social)
Fußnoten
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Ende 2005 leitete das FBI mit der Verhaftung und Anklage gegen zahlreicher Aktivist*innen eine neue Phase seines Angriffs auf die als „Green Scare“ bezeichnete Umwelt- und Tierbefreiungsbewegung ein. https://de.crimethinc.com/2008/02/22/green-scared
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Repressionen des Siedlerstaates: Die Kämpfe um Standing Rock gehen vor Gericht weiter. Standing Rock ist ein modernes Beispiel für die repressive Polizeiarbeit, die seit langem gegen indigene Völker angewandt wird. Um der Bevölkerung die Bombardierung, Sanktionierung oder Invasion anderer Länder schmackhaft zu machen, hat die US-Regierung immer wieder das Vorgehen anderer Regierungen gegen ihre eigene Bevölkerung als Vorwand benutzt. Zu diesen Aktionen gehörten unter anderem der Einsatz chemischer Waffen, Folter, der Einsatz von Hunden gegen Menschen, Schläge, Überwachung, die gewaltsame Vertreibung von Menschen von ihrem Land, die ungerechtfertigte Inhaftierung von Menschen, die Durchführung von Schauprozessen sowie verbale und physische Drohungen.
Doch dieselben Maßnahmen wurden von der US-Regierung, den Regierungen der Bundesstaaten und privaten Sicherheitskräften, die im Auftrag eines privaten Pipeline-Unternehmens (mit voller Unterstützung der US-Regierung) gegen die indigene Bevölkerung in Standing Rock eingesetzt wurden, durchgeführt. https://truthout.org/articles/settler-state-repression-standing-rock-battles-continue-in-the-courts/
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Globale Beispiele für diese Repressionen – und wie sie systematisch mit der Ersetzung radikaler Bewegungen durch reformistische Strömungen verbunden sind – diskutiere ich in The Solutions Are Already Here: Strategies for Ecological Revolution from Below (Pluto Press 2022) und They Will Beat the Memory Out of Us: Forcing Nonviolence on Forgetful Movements (Pluto Press, Erwartet September 2024).