In den frühen Morgenstunden des 16. Mai 2024 stimmte auch die VVD-Fraktion einstimmig dem Koalitionsvertrag für eine rechtsextreme niederländische Regierung zu. Die Fraktionen der faschistischen PVV und die Steigbügelhalter*innen von NSC und BBB hatten in den Stunden zuvor schon einstimmig zugestimmt. Damit nimmt der nächste faschistische Regierung in einem EU Mitgliedstaat jetzt Form an. Eine Regierung, die auch international schwerwiegende Folgen haben könnte, denn die niederländischen Faschisten und ihre Koalitionspartner suchen internationale Verbündete, um gemeinsam die EU-Migrationspolitik weiter zu verschärfen, aber auch um die UN-Flüchtlingskonvention zu „modernisieren“.
Es ist nicht Neu, dass faschistische Parteien in den Niederlanden eine starke Präsenz haben. Auch in den Niederlanden besteht ein deutlicher Zusammenhang mit einen neoliberalen Umverteilungspolitik von unten nach oben, einer Verrohung von Ethik und Sprachgebrauch sowie der „neuen“ faschistischen Welle, die sich allmählich zu einem Tsunami entwickelt.
Bereits im Januar 2021 habe ich dazu einen Artikel für Sunzi Bingfa verfasst, ein Teil dieser Beitrag veröffentliche ich hier erneut, denn um die aktuelle Entwicklung zu verstehen, ist es wichtig zurückzublicken.
In den achtziger Jahren begann Premierminister Ruud Lubbers mit einem neoliberalen Reformprogramm, mehrere Nachfolger setzten es fort. Als Gerhard Schröder Anfang der 2000er Jahre seine neoliberale Agenda 2010 auf den Weg brachte, sagte er offen, dass sie teilweise auf dem niederländischen sogenannten „Poldermodell“ basiere. In den Niederlanden gingen die neoliberalen Programme aber noch viel weiter als in der BRD. Thatchers „Es gibt keine Gesellschaft“ hat bei unseren Nachbarn funktioniert. Nach der zerstörerischen Arbeit von 3 Generationen von Politikern ist die Gesellschaft in den Niederlanden heute komplett zerbrochen.
Wie der Zufall nach der Beginn von neoliberale Reformen so will, kamen die extreme Rechte schon in den achtziger Jahren ins niederländische Parlament. Damals war es die Centrumpartij, später zusammen mit einer Abspaltung: die Centrum-Demokraten. In 1986 versuchten die beiden Parteien für die nächsten Wahlen zu fusionieren, aber autonome Antifaschisten störten den Parteitag der rechtsextremen Parteien in Kedichem und so kam die Fusion nicht zustande. Das Hotel, in dem der Parteitag stattfand, ging in Flammen auf. Die Antifaschist*innen verhinderten mit dieser Aktion den Zusammenschluss von Centrumpartij und Centrum-Demokraten.
Vor der Centrumpartij gab es bereits die Nederlandse Volksunie (NVU), aber die hatte nie wirklich das Potenzial, größer zu werden. Sie waren zu offen faschistisch, in Zeiten, in denen viele Menschen der „Kriegsgeneration“ noch am Leben waren. Bald wurden auch die Centrumpartij und die Centrum-Demokraten auf dem Scheiterhaufen der Geschichte abgeladen. Aber die wirkliche Gefahr sollte noch kommen.Während die autonome Bewegung immer schwächer wurde, setzte sich in den Niederlanden ein neuer rechtsextremer Politiker durch: Pim Fortuyn. Fortuyn war in den frühen neunziger Jahren Professor für Massenkommunikation und schrieb für die konservative Wochenzeitung Elsevier. Im Jahr 1997 veröffentlichte er das Buch „Gegen die Islamisierung unserer Kultur“. Am 20. August 2001 gab Fortuyn bekannt, dass er in die Politik gehen wolle. In November 2001 wurde er Spitzenkandidat der Partei Leefbaar Nederland (LN, deutsch: Lebenswerte Niederlande), und kurz darauf ebenso von Leefbaar Rotterdam. Nach rassistischen Äußerungen in niederländischen Medien wurde Fortuyn wegen seiner rechtsextremen Agenda aus Leefbaar Nederland geworfen und gründete sofort seine eigene Partei. Liste Pim Fortuyn. Fortuyn war kein „old-school“ Faschist wie Janmaat, er war eine charismatische Persönlichkeit. Er trug immer maßgeschneiderte Anzüge, modische italienische Schuhe und war rhetorisch sehr begabt. Ich erinnere mich, dass ich eine Debatte mit allen Spitzenkandidaten im öffentlich-rechtlichen niederländischen Fernsehen gesehen habe. Das war ein paar Monate vor den Parlamentswahlen in 2002. Fortuyn ließ während diese Debatte seiner Gegner*innen wie Schulkinder die noch viel zu lernen haben aussehen. In diesem Moment wurde mir klar, dass dieser Mann eine ganz andere Art von rechtsextremem Politiker war, Fortuyn war wirklich gefährlich. Ein paar Wochen vor der Wahl, am 6. Mai 2002, wurde Fortuyn erschossen. Der Attentäter, Volkert van der Graaf, war ein Umweltaktivist und sagte während seiner Gerichtsverhandlung, dass er Fortuyn tötete, weil er ihn für eine Gefahr für die Gesellschaft hielt, insbesondere für marginalisierte Gruppen wie Geflüchtete, Muslime und Menschen die z.B. Invalidenrente beziehen. Van der Graaf erkannte, dass Fortuyn gestoppt werden musste. Aber der Schaden war bereits angerichtet. In nur ein paar Monaten wirbelte Fortuyn die gesamte Parteienlandschaft durcheinander.
Fortuyn wurde nie gewählt, veränderte aber die holländische Gesellschaft in nur wenigen Monaten und zwar nachhaltig. Heute, im Jahr 2024, etwas über 20 Jahre später, ist rechtsextreme Politik in den Niederlanden völlig normalisiert. Neun Tage nach Fortuyn’s Tod fanden die damaligen Wahlen statt und seine Partei wurde Teil einer Koalitionsregierung mit den Christdemokraten und der neoliberalen VVD. Es war das erste Mal, dass eine rechtsextreme Partei die Niederlande seit der Nazi-Besatzung in den 1940er Jahren regierte. In Rotterdam bekam seine Partei 30% bei den Kommunalwahlen in 2002. Eines der ersten Dinge, die sie taten, war die „Säuberung“ der öffentlichen Stadtbibliothek. Linke Bücher verschwanden. Fortuyn war zwar gestorben, aber der Faschismus, der seit Anfang der 2000-er Jahre verharmlosend „Rechtspopulismus“ genannt wird, etablierte sich als fester Bestandteil der niederländische Politik. In 2002, also lange vor es die AFD hierzulande überhaupt gab. Fortuyns Erbe wurde Geert Wilders mit seiner PVV.
Die Niederlande sind zwar ein kleines Land, aber sie haben die fünft stärkste Wirtschaft in der Europäischen Union. Das macht den niederländischen Staat zu einem Nettozahler der EU, was nicht selten eine Rolle spielt, wenn die verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten einen Konflikt haben und mit harten Bandagen kämpfen, um ihre Interessen durchzusetzen. Es ist auch wichtig zu wissen, dass Geert Wilders und seine PVV keine Neulinge sind. Wilders ist nun schon seit mehr als 20 Jahren ein prominenten Akteur in der niederländischen Politik und der europäischen Rechtsextremen. Er spricht auf internationalen Konferenzen, wie vor ein paar Wochen auf der CPAC in Orbans Ungarn und immer damit beschäftigt internationale Allianzen mit verschiedenen rechtsextremen Akteuren auf internationaler Ebene zu bilden. Er weiß, dass die Niederlande klein sind, aber er weiß auch, dass sie eine Wirtschaftsmacht sind. Das wird er nutzen, um seine faschistische Agenda durchzusetzen.
Das heute veröffentlichte Regierungsabkommen der faschistischen PVV und ihrer Verbündeten VVD, NSC und BBB umfasst 26 Seiten. In vielen Punkten ist das Dokument nicht sehr konkret, und nach fast 6 Monaten Verhandlungen könnte man sich fragen: Worüber haben sie in dieser langen Zeit eigentlich gesprochen? Aber Vorsicht! Wenn es um Themen wie Migration und Geflüchtete geht, wird der faschistische und fremdenfeindliche Charakter dieser Regierung sehr deutlich.
Der neuen Regierungsvertrag beginnt mit den folgenden zwei Sätzen:
„Die Niederlande sind ein schönes Land.
Ein Land, worauf man stolz sein sollte.“
Die Regierungsvereinbarung beginnt also mit ein paar leeren Worten, die viele Menschen, die für die Regierungsparteien gestimmt haben, lieben werden. Wenn man keine Lösungen für die Probleme unserer Zeit hat, ist es immer gut, die Menschen hinter ein paar leeren Sätzen zu versammeln. Und natürlich sind Sündenböcke unverzichtbar, wenn man nicht gewillt ist, reale Probleme tatsächlich zu lösen.
Abgesehen von neoliberalen Geschenken für die Reichen und Konzerne, die den Einfluss der VVD-Verhandlungsführer auf das Abkommen zeigen, was für die VVD-Verhandlungsführer*in wahrscheinlich nicht so schwierig war, da die PVV, NSC und BBB sicherlich kein Problem damit haben, den Reichen ein paar Geschenke zu machen, kündigt die Einführung des Regierungsprogramms die „Die strengste Asylzulassungsregelung und das umfassendste Migrationskontrollpaket aller Zeiten,“ an. Und das hat es tatsächlich in sich:
„Erstens wird die Ausnahmebestimmung des Ausländergesetzes 2000 (gemäß § 110 und 111) so bald wie möglich aktiviert.
(…)
Zweitens wird unverzüglich ein befristetes Asylkrisengesetz mit Krisenmaßnahmen zur Bewältigung des akuten Zustroms von Asylbewerbern und der Aufnahmekrise für die nächste Zeit in Kraft gesetzt.“
Diese Paragraphen befassen sich mit der Möglichkeit, auf der Ebene des Ausnahmezustands zu regieren, ohne Parlament, aber beschränkt auf den Bereich der Ausländer*innenrecht. Sie eröffnen auch die Möglichkeit, internationale Verträge über das Ausländer*innen- und Asylrecht zu ignorieren. Für die neue rechtsextreme Regierung könnte es schwierig sein, dies umzusetzen, aber da wir mittlerweile wissen, wie Wilders normalerweise vorgeht, könnte dies sogar politisches Kalkül sein.
Ich könnte jeden einzelnen Punkt der angekündigten neuen Regierungsmaßnahmen ansprechen, die im Dokument unter dem Titel „Asyl und Migration in den Griff bekommen“ beschrieben werden, aber da die neue Regierung versuchen will, die Rechte von Menschen auf der Flucht und Migration im Rahmen von Notstandsparagraphen anzugreifen, können sie tatsächlich tun, was sie wollen, wenn es ihnen gelingt, dies durchzusetzen. Wichtig zu wissen ist, dass die Regierung mit ihrem geplanten Migrationskrisengesetz u.a. alle Asylverfahren für mindestens zwei Jahre auf Eis legen will. Außerdem wollen sie „illegale Einwanderung“ mit Grenzkontrollen bekämpfen und kündigen an, dass sie Menschen, die die Grenze illegal überschritten haben, zurückschicken werden. Konkret würde dies bedeuten, zurück nach Deutschland und Belgien.
Ein weiterer interessanter Punkt ist der Teil über einen Angriff auf die UN-Flüchtlingskonvention von 1951. Sie wollen nicht nur die UN-Flüchtlingskonvention durch menschenverachtende Pläne wie die Ruanda-Abschiebungen der Tories im Vereinigten Königreich oder der CDU in Deutschland untergraben, sondern auch die UN-Konvention selbst angreifen. Im Koalitionsvertrag steht das die Regierung „eine Modernisierung der UN-Flüchtlingskonvention befürwortet und die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Mitgliedstaaten in den Vereinten Nationen“ suchen wird, um dies zu erreichen. Viele mögen darüber lachen, dass ein kleines Land wie die Niederlande diese Initiative bei der UNO starten möchte, aber was ist, wenn Meloni zustimmt? Was ist, wenn extrem-rechts die kommenden EU-Wahlen für sich entscheiden? Was ist, wenn Trump die US-Wahlen gewinnt? In zahlreichen Staaten der Welt gibt es Gesetze und Gerichtsentscheidungen, die sich auf die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 stützen. Wenn es der faschistischen Kräfte gelingt, die wesentlichen Teile dieser Konvention auszuhebeln oder zu ändern, würde dies die Rechte von Geflüchteten in vielen Staaten negativ beeinflussen.
Auch GEAS geht die PVV und ihre verbündeten nicht weit genug. Die PVV und ihre Koalitionspartner*innen VVD, NSC und BBB wollen EU Verträge und Regelungen über Migration „anpassen“.
Im Koalitionsvertrag steht auch das der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Niederlanden reformiert werden soll. Entscheidungsprozessen sollen gestrafft werden. Was dieser Satz genau bedeuten soll wird nicht beschrieben. Auch sollen bei der der öffentlich-rechtliche Rundfunk 100 Millionen Euro gespart werden.
In einem Regierungsprogramm einer Rechtsradikale Regierung darf folgendes natürlich auch nicht fehlen: „Es wird eine sichtbare Präsenz und mehr Polizei und Polizeistationen in den Stadtteilen, in den Kiezen, in der Region geben; die Kriminalpolizei wird verstärkt werden.“
Ansonsten das was von autoritäre extrem-rechte Regierungen erwartet werden kann: Es wird z.B. härtere Strafen für „Grenzüberschreitendes Verhalten“ geben. Es wird übrigens nicht näher beschrieben was das laut die neue Regierungsparteien genau sein soll. Auch soll der Definition von das was terroristische Vereinigungen sein sollen erweitert werden. Auch da steht aber nirgendwo wie genau. Zudem soll es eine deutliche Trennung zwischen friedliche Demonstrant*innen und Menschen die die „Öffentliche Ordnung“ gefährden geben mit deutlich härtere Strafen.
Natürlich hat der Klimaleugner Wilders auch mehrere Klimamaßnahmen aufgegriffen. Momentan darf man auf Autobahnen tagsüber nur 100 km/h fahren, weil es Staus und den Ausstoß von CO 2 reduziert, bald darf man wieder 130 km/h fahren und Landwirte dürfen wieder den subventionierten „roten Diesel“ verwenden, um nur zwei der Klimamaßnahmen zu nennen, die gestrichen werden sollen.
Bleibt zu sagen das auf eine Internationale Ebene der geplanten Angriff auf der UNO Flüchtlingskonvention von Bedeutung werden könnte. Das in den Niederlanden das Aushöhlen von viele Rechte einer selbsternannten liberale Demokratie schon im Koalitionsvertrag durch das Regieren über Notstandsparagraphen offen angekündigt wird. Es dürfte für viele Menschen in den Niederlanden und darüber hinaus übel werden.
Ich bin mir bewusst, dass die autonome antifaschistische Bewegung in einer tiefen Krise steckt. In vielen Ländern sind wir nicht viele und in der Defensive. Aber trotzdem: wehrt euch. Kämpft mit allen notwendigen Mitteln.
Wo immer ihr seid: Fight Back!