„Diktatoren können gestürzt werden. Staaten können überwunden werden. Der Imperialismus kann besiegt werden.“

Gestern habe ich einen Beitrag mit dem Titel „Für Immer Ist Vorbei“ von Elias Ayoub übersetzt. Heute folgt einen wichtigen Thread der auf Bsky veröffentlicht wurde.

Der Thread wurde von Elia Ayoub in der englische sprache veroffentlicht, ich hab den Text in die deutsche Sprache übersetzt.

Riot Turtle

Titelbild oben: Wandgemälde von Samir Kassir in Idlib mit einem Zitat aus einem seiner letzten Texte:

„Wenn der Arabische Frühling in Beirut blüht, kündigt er die Zeit der Rosen in Damaskus an
Samir Kassir / 1960 – 2005“

Die syrische Revolution begann als Aufstand der Arbeiter*innenklasse von unten nach oben, der von den Peripherien ausging und durch lokale Koordinationskomitees organisiert wurde. Sie richteten in den befreiten Gebieten lokale Räte ein, die die Versorgung angesichts der Abwesenheit eines Staates koordinierten. 🧵

Sie erlebten das Leben ohne den Staat, und sie blühten auf. Sie waren der lebende Beweis dafür, dass es nicht nur möglich ist, sondern dass es auch Spaß machen und sinnvoll sein kann. Bibliotheken, Kliniken, Krankenhäuser, Schulen, Suppenküchen und mehr – alles organisiert von den Menschen, die zu ihren Communities gehörten.

Das ganze hat aber nichts Romantisches an sich. Es gab Herausforderungen, Höhen und Tiefen, jede Menge Misserfolge, aber auch außergewöhnlich viele Erfolge. Der Anarchist Omar Aziz wies zu Recht darauf hin, dass die Syrer*innen länger durchgehalten haben als die Pariser Kommune.

Nach dem Zusammenbruch des Regimes haben die Menschen als erstes die Knäste befreit. Das Gefängniswesen wurde weithin als Kernbestandteil des Regimeapparats verstanden. Er konnte nicht einfach täglich alle Menschen auf der Straße umbringen. Er musste Hunderttausende gewaltsam verschwinden lassen und töten, um die Gemeinschaften zu spalten. Und er scheiterte.

Als Anarchist glaube ich, dass jede Bemühung, die zu einer freieren Welt beiträgt, unterstützt werden sollte, auch wenn sie kritisch gesehen wird, auch wenn sie fehlerhaft ist. Deshalb glaube ich, dass die Linke im Großen und Ganzen, fast überall, die Syrer*innen im Stich gelassen hat.

In den 13 Jahren nach 2011, als die Knäste weiter gefüllt und in die lebenden Höllen verwandelt wurden, die wir in Saidnaya gesehen haben, hat die weltweite Anti-Knastbewegung Syrien weitgehend ignoriert. Die westliche Pro-Palästina-Bewegung griff Syrer*innen und Syrisch-Palästinenser*innen an und verurteilte sie dafür, dass sie sich gegen Assad auflehnten.

Das absolute Minimum ist jetzt, dass alle, die nicht zugehört haben, als die Schreie am lautesten waren – als Aleppo gefallen ist, als Homs dezimiert wurde, als Daraya geleert wurde, als Yarmouk ausgehungert wurde, als die Kinder von Daraa gefoltert wurden, als Ghouta vergast wurde – demütig sind und sich reflektieren.

Es besteht ein großes Interesse daran, dass die Zeit nach Assad chaotisch wird. Die Golfstaaten wollen keine Demokratie in der arabischen Welt. Israel und die USA wollen keine Demokratie in der arabischen Welt. Die Türkei, Russland und Iran auch nicht. Die ägyptische Militärdiktatur? Auch nicht.

Dabei sind die Probleme im Inneren noch nicht einmal berücksichtigt. Das Assad-Regime hat die organisierte Linke über Jahrzehnte hinweg ausgelöscht und die Gewerkschaften dezimiert. Sie haben die Bevölkerung durch Sektiererei gespalten. Die vor uns liegenden Herausforderungen sind gewaltig, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht bewältigt werden können.

Noch mal. Dies sind die Menschen, die die lokalen Räte und lokalen Koordinationskomitees gegründet haben, während Assad, Iran, Russland und die Hisbollah sie belagerten, bombardierten, vergasten, folterten und verschwinden ließen. Sie hielten Wahlen in Hunderten von Dörfern und Städten ab.

Mitleid und Wohltätigkeit sind hier nicht gefragt. Sinnlose „Ich hoffe, es wird nicht noch schlimmer“-Kommentare sind bestenfalls nutzlos und schlimmstenfalls eine Beleidigung für diejenigen, die unter Assad gelitten haben. Schlimmer als ein durch Vergewaltigung geborenes kleines Kind im Saidnaya-Knast? Leichen, die zerquetscht werden, um sie in Massengräbern zu entsorgen? Ihr Ungeheuer.

Samir Kassir hat dies schon vor langer Zeit verstanden. Freiheit in Syrien ist verbunden mit Freiheit in Palästina ist verbunden mit Freiheit im Libanon (usw. usw.). Er war nur ein Journalist und ein Historiker und doch so gefährlich, dass er der *erste* war, der von Assad im Libanon ermordet wurde, nachdem Premierminister Hariri getötet worden war.

Assad hätte mit Hilfe der Hisbollah auch andere Politiker*innen töten können, wie er es mit Hariri getan hat, aber nein, er hat sich für den Journalist entschieden. Wer war die zweite Person, die nach Kassir getötet wurde? George Hawi, der ehemalige Vorsitzende der Libanesischen Kommunistischen Partei. Sie waren dabei, gemeinsam eine neue Bewegung zu gründen.

Wie in Syrien wurde auch im Libanon jede echte Alternative zum Status quo ermordet oder verschwand. Und sowohl in Syrien als auch im Libanon wurde jeder Palästinenser*in, der es wagte, die Freiheit der Palästinenser*innen mit der Freiheit der Libanes*innen und Syrer*innen zu verbinden, mit der ganzen Härte des Staates verfolgt. Kassir verkörperte alle 3 Identitäten.

Aber was die Assadist*innen im Libanon gemacht haben, war immer nur ein Bruchteil dessen, was sie in Syrien gemacht haben. Im Libanon kannten wir ihre Shabbiha auch gut. Ich war ein Kind, aber ich erinnere mich an Assads Schläger – und das war nichts im Vergleich zu dem, was sie in Syrien getan haben.

Aus dem, was die Syrer*innen durchgemacht haben, kann man eine Menge lernen. Es ist eine lächerlich reiche und chaotische und komplizierte Erfahrung, und alle können daraus lernen. Diktatoren können gestürzt werden. Staaten können überwunden werden. Der Imperialismus kann besiegt werden.

Elia Ayoub

The Syrian revolution started off as a bottom-up, working class uprising from the peripheries organised through local coordination committees. They set up local councils throughout the liberated areas that coordinated to provide services in the absence of a state. 🧵

— Elia Ayoub إيليا أيوب (@ayoub.bsky.social) 13 december 2024 om 13:24